Wie gut ist Deutschland auf den Ernstfall vorbereitet?

Terrorangriffe, neuer Kalter Krieg mit Russland, Cyberattacken, hybride Konflikte, Stromausfall, Naturkatastrophen, Industrieunfälle, Epidemien.

„Die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktion kann zum Beispiel bedeuten, dass wenn das Haus eines Ministeriums nicht mehr arbeitsfähig ist – durch einen großen Brand, durch eine Explosion, durch eine sonstige Störung – dann muss anderswo in einem Ausweichquartier diese Regierungsfunktion wahrgenommen werden können. Das ist vorbereitet, dafür gibt es Räumlichkeiten, dass muss auch beübt werden, all das gehört dazu.“

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist im Kabinett tonangebend, wenn es um die Handlungsfähigkeit der Regierung im Krisenfall geht. Ende August hat er das Konzept Zivile Verteidigung vorgelegt. Es sieht zum Beispiel vor: Alle Ministerien sollen im Notfall von einem sicheren, geheimen Ort aus weiterarbeiten können.

Zu Bonner Regierungszeiten wären die politischen Entscheidungsträger in ein unterirdisches Tunnelsystem im rheinland-pfälzischen Ahrweiler geflüchtet, versteckt unter einem idyllischen Weinberg. Dieser ehemalige Regierungsbunker ist heute eine Dokumentationsstätte und steht Besuchern offen.

 

Nichts dem Zufall überlassen

 

Heike Hollunder, die Leiterin der Dokumentationsstätte, hat mit ihren Kollegen viele Details zusammengetragen, wie sich die Regierung damals bei einem atomaren Angriff hätte organisieren sollen.

„Innerhalb von einer Stunde, anderthalb, von Bonn aus wäre die Regierung hier gewesen und handlungsfähig gewesen. Die wären mit Autos gekommen, mit Bussen, und es gibt natürlich auch noch jede Menge Hubschrauberlandeplätze rings um den Regierungsbunker. Alles ist hier bis ins kleinste Detail geplant worden, hier wurde nichts dem Zufall überlassen.“

„Innerhalb von zehn Sekunden haben sich 25 Tonnen Stahl und Beton bewegt. Das Tor ist von der Firma MAN entwickelt worden und hier vor Ort eingebaut worden. Es gibt weltweit acht von diesen Toren und die sind alle hier, zwei an jedem Eingang des Regierungsbunkers.“

Ein insgesamt 17 Kilometer langes Tunnelgewirr sollte rund 3.000 Mitarbeiter beherbergen – Bundespräsident, Bundeskanzler und Generalinspekteur der Bundeswehr inklusive.

„Da sehen wir das Büro des Bundeskanzlers, also kein besonderer Luxus, schlichter Raum, eine kleine Besprechungsecke, ein Schreibtisch, ein abschließbarer Schrank. Das Herzstück der Anlage, die Kommandozentrale war rund um die Uhr belegt, die anderen nur während der Übungen, die alle zwei Jahre stattfanden. Von hier aus können alle Türen, Tore, Klappen und Jalousien in Millisekunden geschlossen werden und zwar über einen Knopfdruck.“

„Tatsache ist, dass sich kein amtierender Bundeskanzler hier drin hat mal sehen lassen.“

Wolfgang Müller führt Besuchergruppen durch den ehemaligen Bunker und kann aus eigener Erfahrung veranschaulichen, wie der Ernstfall geprobt wurde. Als Mitarbeiter im Verteidigungsministerium war er selbst mehrfach dabei.

 

„Für die Übungen ließ man sich immer doubeln durch hochrangige Verwaltungsmitarbeiter. Ich erinnere mich, die letzten beiden Übungen, 87/89 spielte hier den Bundeskanzler, übungshalber, Waldemar Schreckenberger, letzter Kanzleramtsminister unter Kohl, den wollte ich Ihnen auch mal gern kurz vorstellen.“

„Sie können erkennen, es gab hier drin einen Friseur – im Vorfeld heftige Diskussion, braucht man’s, braucht man’s nicht. Man muss sich das so richtig auf der Zunge zergehen lassen: Draußen war der Atomkrieg im Gange, hier drin konntest Du Dir die Haare machen lassen. Und sei es auch nur, dass sich der Präsident vor einem Fernsehauftritt noch so ein bisschen stylen konnte.“

Es gab sogar ein geheimes Studio des WDR in Ahrweiler. Seit 2008 kann man den ehemaligen Regierungsbunker besichtigen. In diesem Jahr wird der 700.000-ste Besucher erwartet.

Für die Dokumentationsstelle arbeitet auch Jörg Diester, Journalist, Autor – und Bunkerexperte. Er hat im Bundes-Militärarchiv Freiburg zum Beispiel viele Akten dazu durchpflügt. Diester schaut aber nicht nur zurück, wie frühere Bundeskanzler agiert hätten, sondern nimmt auch die amtierende Regierungschefin ins Visier.

„Was mit Frau Merkel im Verteidigungsfall passiert, das ist eigentlich geregelt im Artikel 115a-l unseres Grundgesetzes. Da steht nämlich drin, welche Funktionen sie dann zu übernehmen hat, und damit müsste sie auch in die Lage versetzt werden, dass sie diesen Aufgaben nachkommen kann, und das bedeutet hier in dem Fall Artikel 115b, dass sie den Oberbefehl über die Bundeswehr antritt, also muss sie natürlich auch jetzt in der Lage sein, mit der Truppe zu kommunizieren und auch zu befehlen.“

 

Viele Bunkeranlagen geschlossen

 

Das könnte die Bundeskanzlerin nur von einem sicheren Ausweichsitz aus tun. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war Ende August zu lesen, dass das Bundeskanzleramt im Verteidigungsfall in eine Kaserne im Raum Berlin umziehen würde. Aber die Zeitung berichtet auch, dass die Vorkehrungen der Regierung insgesamt unzureichend seien. Laut einer internen Bestandsaufnahme gäbe es nicht genügend Notquartiere für alle Ministerien.

Die letzte ressortübergreifende Zivilschutzstrategie stammt aus dem Jahr 1995. Der Kalte Krieg war zu dem Zeitpunkt längst vorbei, ein Angriff auf die Bundesrepublik erschien realitätsfern. Der Bund machte viele seiner Bunkeranlagen dicht.

 

Dann erschütterten die Terroranschläge vom 11. September 2001 die Welt. Die Hochwasserkatastrophe von 2002 nahm eine Dimension an, die die Innenminister in Deutschland über den Katastrophenschutz in Friedenszeiten neu nachdenken ließ.

Geschehen ist danach erst einmal nicht viel. 2004 wurde das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gegründet, kurz BBK. Es untersteht dem Bundesinnenministerium – als zentrale Stelle für die zivile Verteidigung. Vier Jahre später sendete das BBK einen Richtlinienkatalog zur „Planung von Ausweichsitzen“ an die obersten Bundesbehörden. Jörg Diester:

„Es sieht nicht wirklich so aus, dass hier ernsthaft was gemacht wurde, die Ministerien haben zwar zurückgemeldet, sie hätten das Schriftstück sich genau angeguckt, aber dass jetzt jemand einen Vollzug gemeldet hat als Bauwerk, das war nicht der Fall. Also musste man jetzt gucken, wie man das korrigiert, das ist ein Teil des neuen Konzepts für Zivilverteidigung, in dem eben drinsteht, dass die obersten Bundesbehörden jetzt gesetzlich verpflichtet sind.“

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